Der „Paketdienst Esso 36“ nimmt Bezug auf die Schnittstellen Verkehr, Transport, Einkaufszentrum und ländliche
Umgebung. In einer Zeit, als Einkaufszentren noch Passagen hießen und in
hoch verdichteten städtischen Räumen die neuesten technischen Entwicklungen
glanzvoll zu inszenieren wussten, wurden die Waren mit Pferdekutschen transportiert.
Die Kaufhäuser standen in den Zentren der Städte. Dort stehen sie immer
noch, aber eben auch vermehrt in ländlichen Gebieten. Das Rhein- Ruhr Zentrum
(RRZ) ist abhängig von seinen guten Anbindungen. Neben Autobahnen, Bundes-
und Landstraßen, Autobahnbrücken und Gleisanlagen liegen in den Räumen dazwischen
Pferdekoppeln, Reiterhöfe, Bauernhöfe und Wagenburgen verstreut; je dichter
an den Verkehrsachsen gelegen, desto verwegener. Was liegt näher, als nun
die Pferde ihre Arbeit machen zu lassen, für die sie seit Generationen so
geschätzt werden. Vom Parkdeck des RRZ fuhr täglich ein Wagen mit Pferdegespann
Pakete und Waren in die nahe gelegene Umgebung. Der Versand von Paketen
wurde von den Kunden des RRZ im Innern des Centers an der Paketstation „Esso
36“ in Auftrag gegeben. Der Paketstation angeschlossen war eine Filiale
des Le Grand Magasin. Hier wurden Waren aus europäischen Genossenschaften,
unterschiedliche Produkte wie Elektroartikel, Spielzeug und Haushaltswaren
verkauft. In einer Werbebroschüre des Le Grand Magasin steht: „Einer Ware
sieht man nicht an, wie sie produziert wurde. Dem Produzenten werden meist
nur Informationen gegeben, die das Produkt betreffen. Im Allgemeinen entscheidet
man sich nicht für ein Produkt, weil die Produzenten gute Arbeitsbedingungen
haben. In Produktivgenossenschaften sind Angestellte und Arbeiter zugleich
Beschäftigte und Eigentümer ihres Betriebes.“ Das erste, 1973 fertiggestellte Einkaufscenter
Deutschlands, geplant von Walter Brune, dem Kö Erfinder, ist immer noch
groß und angesichts der älteren eingesetzten „wertigen“ Stilelemente und
Materialien fast sympathisch, verglichen mit dem „Themenpark“ des CentrO
Oberhausen. Neben der Heimaterde auf der A40 liegt das RRZ mit seinen vielen
tausend Parkplätzen. Die Autos sausen hintereinander weg von der A40 auf
die das RRZ umkreisenden Straße. Runter von der A40, rum ums Center, rauf
auf den großzügigen Dachparkplatz, Wagen in der Nähe der Aufzüge abstellen
und gleich mehrere Aufzüge in unmittelbarer Nähe der Glaspyramide, die darunter
liegende Center-Etagen lichtecht aufhellt, was genutzt wird, um den leckeren
Gelatine-Erdbeerkuchen zu servieren oder wahlweise Spaghettieis aus dem
italienischen Eiscafé gegenüber; dazwischen Rentner und Rentiers und ein
vor sich hin plätscherndes 20 Quadratmeter großes Wasserbecken als Rechteck,
zehn Zentimeter hoch befüllt. Und jetzt Kulturhauptstadt mitten im Center
und auf dem Parkdeck.Auf den Namen „Heimaterde“ ist wohl
Max Halbach gekommen, schließlich heißt es, er habe die Siedlung Heimaterde
in den 1920er Jahren in Mülheim gegründet, nachdem die Idee der Gartenstadt,
die von dem Briten Ebenezer Howard 1893 zum ersten Mal vorgestellt wurde,
auch in Deutschland angekommen war, als Reaktion auf die schlechten Wohnund
Lebensverhältnisse sowie die horrend steigenden Bodenpreise in den stark
gewachsenen Großstädten.Max Halbach, der Prokurist bei Krupp,
plante die Siedlung für die neu angeworbenen Kruppschen Arbeiter in Mülheim
Heimaterde – ein schöner Name. Häuser mit Garten und einem Stall für zwei
Schweine, eins davon zum Verkauf, um die Futtermittel für das andere wieder
reinzubekommen.Heute liegt die Haltestelle Heimaterde
der U18, die eine schnelle Verbindung zum RRZ vom Essener Hauptbahnhof oder
von Mülheim aus garantiert, mitten auf dem Ruhrschnellweg A40. Von dieser
Haltestelle aus sollte man lieber nicht versuchen zu telefonieren und Wartezeiten
von über zehn Minuten, die zu bestimmten Zeiten nicht ungewöhnlich sind,
sollte man nicht wie vorgesehen zwischen den Fahrstreifen der Autobahn verbringen
– es sei denn man kategorisiert und zählt gerne vorbeifahrende Autos –,
sondern in diesem Fall lieber zurückgehen, die Treppe hinunter und sich
im Eingangsbereich der Haltestelle hinstellen. Bänke gibt es allerdings
nur oben. Asphalterde.Der Frühling war verregnet, ungefähr
bis zum 6. Juni. Ab dem 8. Juni jedenfalls herrschte schönes Wetter, beim
Aufbau des Pferdeunterstandes für die Pferde Goldrand und Eico. Immer wieder
entstiegen den klimatisierten, in Tempo zehn auf dem Parkdeck heranrauschenden
schwarzen sechszylindrigen 4-Wheels-Limousinen mitleidige Fahrer und beschwerten
sich beim Fuhrmann über den wenigen Schatten für die vor dem Planwagen ruhenden
Zugpferde. Schließlich sorgte sich auch das Veterinäramt und ein Sonnensegel
wurde gespannt, um den Tieren bei ihren ca. halbstündigen Verschnaufpausen
Schatten zu spenden und die vermeintlichen Tierschützer zu trösten. Der
Fuhrmann, Herr Bartsch aus Dortmund, hat die Pferde jeden Morgen auf dem
Grundstück des nahe gelegenen Fahrstalls und Reiterhofs FRV Essen, der uns
netterweise einen Teil des Parkplatzes als Standfläche für den Planwagen
zur Verfügung gestellt hatte, transportiert und eingespannt. Den Planwagen
bekamen wir von Herrn Boschuk gestellt. Herr Boschuk lebt in Oberhausen
und ist Mitglied im IGZ, der Interessengemeinschaft Zugpferde e.V. Die IGZ
ist bundesweit organisiert und engagiert sich für den Einsatz von Tieren
in Landwirtschaft und Kommunen. Beispielhaft hierfür sind die amerikanischen
Amish-Gemeinden, die sehr erfolgreich auch große landwirtschaftliche Flächen,
vergleichbar mit Flächen europäischer Großbauern, ausschließlich durch den
Einsatz von Pferden bewirtschaften. In diesen Gemeinden ist auch ein regelrechter
Markt für zeitgemäße land- und forstwirtschaftliche Maschinen entstanden,
die insbesondere den Einsatz von Zugpferden rentabel machen. Bei allen Beteiligten
möchte ich mich für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ohne die Unterstützung
der Interessengemeinschaft Zugpferde e.V. und Herrn Boschuk hätte die Arbeit
nicht realisiert werden können. Axel Brandt danke ich für seinen Einsatz
und dem Kurator Markus Ambach für das entgegengebrachte Vertrauen.