Wo im Kreuz Kaiserberg täglich 140.000
Fahrzeuge vorbeirauschen, hat sich in den Flutungsbecken der Pumpstation unbemerkt
ein Biotop aus Wasserlilien, Röhricht und Rohrkolben gebildet. Die Vergessenheit
des Ortes, der als Autobahninfrastruktur die von ihr abfließenden, verschmutzten
Regenwässer sammelt, um sie ins Abwassernetz der Stadt zurückzupumpen, bietet
Schutz für diese ungewollte wie erstaunlich ästhetische Entwicklung.
Die Pumpstation ist damit in gewisser
Weise ein Nukleus des Stadtraums entlang der großen Straße, der zeigt, wie
sich autoproduktiv allein aus den widersprüchlichen Strukturen und scharf
kontrastierten, oft ungewollten Nachbarschaften der Orte erstaunliche Landschaften
ergeben. Sie sind in Form und Vielfalt von einer erschreckenden Schönheit,
die sich zwischen den zerstörerischen Begleiterscheinungen menschlichen Handelns
und dem unendlichen Einfallsreichtum der Natur konzipiert. Dass die Künstlergruppe
Finger aus Frankfurt diesen sublimen Ort für die Produktion eines sublimen
Produkts auswählte, liegt nahe. Der im Sozialmagen der Bienen entstehende
Honig verwandelt sich bekanntlich durch nur wenige Eingriffe des Imkers in
ein golden fließendes Genussmittel höchster Reinheit. Die merkwürdige Divergenz
von Verdauung und Reinheit hat die Menschen seit jeher fasziniert und dem
Honig in der Nahrungsmittelkette stets eine Sonderstellung eingeräumt.
Dass Finger ausgerechnet den Autobahnknoten als Standort für ihr städtisches Bienenlabor wählt, hat noch weitere Gründe. Die Gruppe, die sich seit längerem mit sozio-ökonomischen Strukturen im städtischen Kontext beschäftigt und dabei oft alternative Lebens- und Überlebensformen fokussiert, sah sich eines Tages erneut mit den Fragen des eigenen wirtschaftlichen Überlebens konfrontiert. Da die Distribution von Kunst im knallharten Vergleich mit anderen Wegen des Broterwerbs nicht mithalten konnte, transformierten Andreas Wolf und Florian Haas, die beide ein ausgeprägtes Interesse am Imkern hatten, ihren künstlerischen Projektraum vor einigen Jahren flugs in die „Stadtimkerei“. Seitdem produzieren sie städtischen Honig, der gegenüber vergleichbaren Landprodukten geschmacklich äußerst komplex daher kommt, da die städtische Balkonlandschaft inzwischen eine skurrile Form des Artenreservoirs mit einer wesentlich komplexeren Flora aufweist als die Monokulturen der Landwirte. Das städtische Bioprodukt ernährt seitdem auch die beiden Imker mit Bienenstandorten an städtischen Verkehrsadern oder dem Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.
Natürlich bleibt bei dieser Tätigkeit das künstlerische Interesse nicht auf der Strecke. Der „Honig von der Pumpstation“ mitten im Autobahnkreuz Kaiserberg dient gleichzeitig als Forschungsmaterial der Künstler. Denn aus der Honiganalyse, die die beiden vornehmen ließen, lässt sich ein minutiös genaues Bild der Flora im Flugumkreis der hier 500.000 fleißigen Helfer von Finger erstellen. Die Tracht, die den Bienen in ihrem weiten Bewegungsradius von bis zu fünf Kilometern zur Verfügung steht, zeichnet sich durch eine unglaubliche Artenvielfalt aus. Von Majoran bis Honigtau erweist sich das Autobahnkreuz als Sortenreservoir der besonderen Art. Dies soll kein Plädoyer für den Bau neuer Großtangenten sein, wohl aber ein Statement für eine Entwicklungsfähigkeit dieser einzigartigen Kulturlandschaft im Schatten der Autobahn als biokultureller Spezialraum, den es nicht zu reproduzieren, wohl aber zu schützen gilt. Das hier in Kooperation mit der Imkerei Franz Schwanbeck eingetragene Produkt referiert auch auf die ungewöhnlich stark der natürlichen Umwelt zugewandte Produktion im Kreuz Kaiserberg und reiht sich so subtil in die Phalanx lokaler Produktionen von Delikatfisch Braun, Bauer Everts oder der sich selbst versorgenden Farm von Frau Höffler ein. Die Künstler verhelfen damit der hartnäckigen Widerständigkeit der Bewohner, die in einer Art Selbstverteidigung gerade an diesem Ort ihre Naturnähe behaupten, zu einer neuen Sichtbarkeit. Die Arbeit wird zum Kommunikator zwischen den Welten, wenn sie mit einem überdimensionalen beleuchteten Bienenkorb als weithin sichtbarem Zeichen dem unwissenden Autofahrer anzeigt, dass es hier unter den Fly-overs der Autobahn ein Leben jenseits der Schallschutzwand gibt, das ungeahnte Überraschungen birgt.
Das für alle deutlich lesbare Zeichen des Bienenkorbs am Autobahnkreuz Kaiserberg, das seine Sprache aus der Terminologie der Straße bezieht (siehe temporäre Verkaufsstände in Erdbeerform, Bratwürste als Imbissbuden etc.), verweist auf ein Folgeprojekt hier im RRZ. Denn das in dem Korb angelegte Versprechen von der Pumpstation wird hier eingelöst: Finger hat in der künstlerischen Shopping-Mall auf einer Aktionsfläche zwischen den Ladenlokalen einen Verkaufsstand eingerichtet, der die süßen Träume aus dem Biotop am Autobahnkreuz Kaiserberg verkauft, vermittelt und erweitert. Die „Beebox Pumpstation“ zeigt zum einen auf herkömmlichen Bienebeuten die grafische Umsetzung der Honiganalyse und deren faktische Ergebnisse. Andererseits setzt sie das lokale Produkt in einen globalen Vergleich: Beim mehrmals abgehaltenen Honigfrühstück hat der shoppende Passant die Möglichkeit einer Vergleichsverköstigung des neuen A40-Honigs, des Honigs lokaler Imker aus derselben Gegend und eines globalen „Cuvée“ aus internationalen, im RRZ erworbenen Honigen, die natürlich alles enthalten vom Naturprodukt bis zu genmanipulierten Rapspollen.
Alle Produkte können im Shop erworben werden. Dass die Künstler nebenbei noch den Kurs „Imkern für Anfänger“ im RRZ anboten, verweist auf ihr fortführendes Engagement für alternative Lebensformen. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen bietet die Imkerei ungeahnte Möglichkeiten selbstbeauftragten Handelns, ist aber gleichzeitig Einstiegspunkt in ein Programm zur Selbstermächtigung versus soziale Depression. Vor dem Hintergrund des Projekts „Evolutionäre Zellen“, in dem Finger die Bevölkerung aufforderte, ihre alternativen Lebensentwürfe einzureichen, um einen Almanach der Möglichkeiten selbstbeauftragten Handelns zu erstellen, wird auch das soziopolitische Engagement der Gruppe sichtbar. Dass dieses gerade im Ruhrgebiet, wo die Lage am Arbeitsmarkt besonders angespannt ist, aber auch die Liebe zum eigenen Wirtschaften und Erdenken ungewöhnlicher Lösungen im Umgang mit schwierigen Lebenssituationen heimisch ist, auf fruchtbaren Boden fallen würde, war prognostiziert. Die Zusammenkünfte der Region und der Künstler wurde auch hier zu einer Win-win-Situation, nicht nur in Anbetracht der Tatsache, dass selbst eine halbe Million Bienen dem Bedürfnis nach dem neuen Produkt kaum nachkommen konnten.
Das Projekt hat damit die soziopolitische Komponente autoproduktiver Strategien im Stadtraum nachhaltig unterstrichen. Wo sonst die Trockenheit der politischen Komponenten des künstlerischen Dialogs mit dem Stadtraum die ästhetischen Bedürfnisse der Menschen auf eine harte Probe stellt, findet Finger Wege, den Diskurs mit ungemein genussreichen kulinarischen wie auch ästhetischen Momenten zu versüßen. Zwischen Theorie und Praxis schlagen Bienen und Honig eine ästhetische Brücke zur Landschaft, in der die Projekte eine wunderbare Dichte komplexer Ereignisse anbieten, die sowohl ansprechen als auch zeigen, wie sich Diskurs und Leben genussreich verbinden lassen.