Die Tankstelle an der Vietingstraße ist nach dem Ausbau der A40 die letzte verbleibende Raststätte für die Trucker, die sich entlang des ehemaligen Hellwegs von den osteuropäischen Breiten gen Rotterdam bewegen. Der Parkplatz dient ihnen nicht nur als Übernachtungsort, sondern wird am Wochenende durch das Fahrverbot zum Lebensraum.
Gleichzeitig ist die Tankstelle Stop und Rast der lokalen Transporte. So bilden sich hier globalokale Gemeinschaften im Transit der großen Straße: der Parklatz als temporärer Ort, als taktile Kontaktzone zwischen den Welten, als namenlose Schnittstelle globalokalen Waren- und Kulturtransfers.
Der ständige Wechsel der Trucks, der Container, der Personenkrafteinheiten, der Embleme der Lkw-Planen und der vergessenen wie zwischengelagerten Hänger entwirft unbewusst und ziellos einen Ort ständig wechselnder Formen. Der Platz, der am späten Vormittag als entleerte Fläche daherkommt, wird abends zum voll bebauten Wohn- und Lagerraum.
Die latente Architektur der Trucks wird gerahmt von solchen, die die Sprache der losen Agglomerationen aufzeigen. Neben der leuchtenden Tankstellenarchitektur von Shell, die mit den Pylonen und Leuchtreklamen von Burger King, D&W und McDonald’s auf der anderen Seite der A40 korrespondiert, erhebt sich im Hintergrund nahezu majestätisch-monolithisch das überdimensionale Gebäude von ThyssenKrupp, dessen schnörkellosem Korpus im Zuge der Postmoderne ein silbernes Schmuckeck angefügt wurde. Die sympathetische Nähe der Architektur zum Container als dem Nukleus modernen Warentransfers ist unübergehbar und sicher gewollt. In seiner rudimentären Gestaltung erklärt der Ort seinen Zweck in der ökonomischen Bestimmtheit der Autobahn.
GARTEN VERSUS AUTOBAHN Dass hinter der Schallschutzwand eine internationale Gärtnerschaft ihren Naherholungsraum im Schatten der A40 gefunden hat, ist weder exotisch noch verwunderlich. Der Schrebergarten ist wie auch der Armen- und Arbeitergarten eine komplexe Typologie zwischen sozialer Befriedungsmaßnahme und ökonomischer Landkon- Grün laborieren. Von Kanada bis Afrika, von Europa bis zu den Philippinen reicht das Einzugsgebiet der Gartenfreunde am Dückerweg, die sich hier als internationale Truppe in Eintracht miteinander arrangiert haben, um einmal mehr unsere stereotypen Bilder vom spießigen Schrebergarten zu unterminieren. Nicht biedere Rabattensortierung bestimmt hier den Alltag, sondern ein multikultureller Mix weit hergebrachter wie örtlicher Traditionen. Ob bei Rob, dem Holländer, und Regina aus Bochum, ob bei Danuta aus Polen und Richard als „Local“, ob bei Werner, dem Ex-Rocker, oder den Damen von der Frauengruppe – die Gärtnerschaft im Schatten der Autobahn arrangiert sich in Eigenregie ein feucht-fröhliches Leben zwischen Kürbis, Pils und Koriander, bei dem das Treppchen über den maximal niedrigen trolle. Gerade im Ruhrgebiet macht das weiterhin Sinn, was vor hunderten von Jahren seine Blütezeit fand: Die radikale Entfremdung der Arbeiter in den Städten im Zuge der gewaltigen Industrialisierungswelle führte bald zu Aufstand und Revolte. Bei der Befriedung dieser Bewegungen spielte der Garten eine wichtige Rolle. Die den Arbeitern zugeteilten Parzellen, die im Randbereich von Schienensträngen und unnutzbaren Zwischenräumen von städtischen wie industriellen Infrastrukturen angelegt wurden, versprachen dem Arbeiter nicht nur ein verlorenes Stück Privatsphäre zurück, einen Ort des Rückzugs und der Selbstbestimmtheit, sondern auch eine (wiewohl virtuelle) Teilhabe an städtischem Raum. Der Garten bildete einen emotionalen Puffer für die Verlierer der Industrialisierung und der Privatisierung von öffentlichem Stadtraum.
Gleichzeitig übernahm der Garten die Funktion der Landkontrolle durch zivilisierte Besiedelung. Wo sich im Schatten der großen Verkehrs- und Industriebauwerke leicht ungewollte Nachbarschaft wie Wohnungslose oder fahrende Völker anzusiedeln drohten, besetzte der Garten die Flächen und brachte sie unter soziale Kontrolle.
Inzwischen haben die Gärtner das Blatt wenn nicht gewendet, so doch maßgeblich die weitere Entwicklung mitbestimmt. Heute ist manche Schrebergartenanlage ein wirksamer Schutz gegen die Ökonomisierung städtischer Flächen, sei es durch Gewerbegebiete oder Verkehrserweiterungen. Schon in den 1920er Jahren hatte sich manche Gartenkolonie gerade in Berlin so ausgewachsen, dass ihre Protagonisten nicht nur ein ernst zu nehmendes Wählerpotenzial darstellten, sondern diese sich auch in starken Interessenverbänden organisierten.
GLOBALOKAL HINTER DER LÄRMSCHUTZWAND Die Gartengemeinschaft Dückerweg e.V. wie auch das Centrum-Morgensonne, die sich hier in Wattenscheid hinter der Lärmschutzwand etabliert haben, sind entgegen der Erwartung erstaunlich polyglott und erneut globalokal ausgerichtet. Die überall gehissten Fahnen zeigen schon dem Tankenden auf der Raststätte, dass hier Gärtner aus aller Welt in globalem Miteinander am lokalen Nachbarszaun obligatorisch ist. Im Schatten der Autobahn findet man eine über alle Maßen offene Gemeinschaft, deren herzlichstes Willkommen gegenüber dem Projekt nicht nur uns als Macher beeindruckte und zu Freunden gemacht hat, sondern auch die vielen Besucher, die durch Ausstellung und Gärten schlenderten. Mit leichter Hand entsteht hier von selbst ein globales Verständnis, das sonstwo mit großem Aufwand herbeibeschworen werden muss.
DIE PARADIESPFORTE MAL ANDERS Eine Besonderheit dieser ungewöhnlichen Nachbarschaft von Garten und Rastplatz bildet die Tür in der Schallschutzwand. Sie macht das trennende Bauwerk zur permeablen Membran zwischen den Welten und ermöglicht in einmaliger Weise den Austausch zwischen der Autobahn als sonst hermetisch abgeriegeltem Raum und ihrem direkten Umfeld. Die Gärtner werden zur Klientel der Tankstelle, wo sie sich schon mal mit Grillwurst und gekühlten Getränken eindecken. Gleichzeitig wird die Tür zur Paradiespforte, wenn die Trucker den grünfreien Raum der Tankstelle verlassen, um im Wattenscheider Zentrum shoppen zu gehen oder einem befreundeten Gärtner einen Besuch abzustatten. Am Kaffeetisch der Raststation von Frau Eggers und Frau Sommer wird die Tankstelle zum globalokalen Schnittpunkt, zur multikulturellen Schnittstelle zwischen lokalen und globalen Strukturen von Gärtnern und Truckern, von Stadt und Straße.
Auch wenn die Legende vom russsischen Lkw- Fahrer, dem im Winter die Standheizung versagt und er infolge im benachbarten Garten mit Erlaubnis des Gärtners einzieht, um sich am Bullerjahn zu wärmen, noch ihrer Bestätigung harrt, hat sich hier informell ein Nebeneinander mit hoher sozialer Kompetenz eingestellt. Auch hier gilt für die vernakuläre Landschaft, dass der informelle Umgang mit Raum, in dem die Verhältnisse jeweils neu bestimmt und ausgehandelt werden müssen, eine erhöhte Kompetenz im Umgang mit konfliktreichen Situationen mit sich bringt. Die Fähigkeit, heterogene Nachbarschaften und deren Konflikte selbst und ohne staatliche Hilfe zu regulieren, gehört zu den existenziellen Fähigkeiten dieses internationalen Raumes und seiner Bewohner.