Durch die beschriebenen Zäsuren und Narben, die die B1 auf ihrem Weg zur A40 im Körper der Ruhrstädte hinterlassen hat, haben sich in der gesamten Region unzählige Flächen entwickelt, die man gerne als Brachland oder Restflächen ausweist. Beide bezeichnen ökonomisch nur schlecht verwertbare Areale, die man auch als Kollateralschäden beim Bau großer Infrastrukturen begreifen könnte. Im Sinne der ursprünglichen Bedeutung trifft der Begriff „Brache“ allerdings zu. Denn die nur unkontrolliert bewirtschafteten und schlecht überplanbaren Flächen entwickeln sich unter den neuen Bedingungen, die die Autobahn ihnen diktiert, autoproduktiv entlang der Nutzungen, die sich dort unweigerlich etablieren (siehe „B1|A40 Eine Stadt entwirft sich selbst“).
Man kann sie also im ursprünglichen Sinne der Brache als „Regenerationsraum“ begreifen. Denn hier entstehen neue Landschaften aus sich selbst heraus, die ungeahnten Komplexitäten und Vielfältigkeiten, Kontrasten und Widersprüchlichkeiten am selben Ort Raum geben. Der Begriff der Heterotopien ist hier durchaus angebracht. Auf diesen Flächen, die bei der enormen Größe eines Autobahnkreuzes nicht als Rest-, sondern als Landschaftsraum bezeichnet werden müssen, regeneriert sich die florale wie soziale, ökonomische wie politische Artenvielfalt der Gesellschaft. Wo in den ökonomischen Zentren die Monokulturen der Marktwirtschaft relativ homogene Quartiere hinterlassen, regeneriert sich hier eine Landschaft luxuriöser Vielfalt, Selbstverantwortung und potenzieller Autonomie.
Der Umstand, dass die Autobahn diese mancherorts bis ins Herz der Städte trägt und die Zentren so mit einer alltäglichen Subversion der kleinen Differenzen infiltriert, mag romantisch klingen. Aber die verwischten Spuren dieser Landschaft kommentieren durch den hohen Kontrastwert im Herz der Stadt, im Zentrum der Gesellschaft subtil ihr Umfeld. Wenn in einer Region wie dem Ruhrgebiet „ausgeklügelte Zentrumshierarchien von der regional agierenden Bevölkerung tagtäglich lässig außer Kraft gesetzt werden“, so ist dies das Zeichen für die Aktivität dieser Räume und ihrer Protagonisten.
LANDSCHAFTSPARK KREUZ KAISERBERG Im Autobahnkreuz Kaiserberg findet sich exemplarisch eine vernakuläre Landschaft, wie Brinckerhoff Jackson sie beschreibt. Hier wird deutlich, wie die Autobahn durch ihre Struktur als aktives Subjekt eine Landschaft entstehen lässt, die wie ein Gegenentwurf zu ihr selbst erscheinen muss. Im stark fragmentierten Raum zwischen Fly-overs und Autobahninfrastruktur, zwischen verwaisten Fahrspuren und den ICE-Trassen nach Berlin, auf denen ein internationales Publikum tagtäglich durch diesen vergessenen Ort rauscht, haben sich besagte Nutzungen angesiedelt, die ganz und gar nicht zum Bild der Autobahn passen: Zoo und Schrebergarten, Ponyhof und Fischfarm, Feuchtbiotop und Wagenburg, Landwirtschaft und Dorfidylle ertragen hier in nachbarschaftlicher Gelassenheit und stoischer Ruhe den steten Lärm der Autobahn