Die Orte der Ausstellung sind geprägt durch ein eigenwilliges Verhältnis zur Geschichte. Öffentliche Räume bieten sich nicht nur als Orte des Geschehens an, sondern akkumulieren die Erinnerung an die Ereignisse, um sich über die Zeit mit Bedeutungen aufzuladen. Gerade ihr dauerhafter Bestand hängt wesentlich davon ab, ob sie sich einen Platz in der Geschichte erarbeiten können, um der Überschreibung in städtischen Aktualisierungsprozessen zu entgehen.
IM HIER UND JETZT Die Orte entlang der A40 zeichnen sich dagegen durch ein latentes Desinteresse an geschichtsbildenen Praktiken aus. Brinckerhoff Jacksons Definition der vernakulären Landschaft, die sich gerade auch durch das Fehlen langfristiger Ziele auszeichnet, ist hier beispielhaft. B1|A40 zeigt an seinen Spielorten verschiedene Formen dieser Landschaft ohne historisches Gedächtnis. Die Gegend rund um das Kreuz Kaiserberg dürfte dabei die sein, die sich am stärksten als solche begreifen lässt, obwohl man auch in ihr in kleinsten Parzellen das Bedürfnis nach Stetigkeit, Dauer und eigener Geschichte finden kann. Das Fehlen der langfristigen Ziele ist nicht einem ignoranten Verhältnis seiner Bewohner zu bleibenden Werten geschuldet, sondern vielmehr dem Umstand, dass diese Landschaft ständig mit gewaltigen Eingriffen durch Politik und Planung umgehen muss. In geduldiger Anpassung an die Umstände versuchen sich die Bewohner ein Minimum an lokaler Geschichte zu erhalten, so im Kampf um die Kirche in Werthacker oder in der Renovierung des Landguts um den Dörnerhof. Aber die Bedürfnisse der Allgemeinheit überschreiben im Schatten der Autobahn oft dieses Bemühen. Unter diesen Umständen lassen sich schwerlich Perspektiven entwickeln. So versuchen die Bewohner im Hier und Jetzt eine Existenz zu begründen, die sich im aktuellen Miteinander und der oft improvisierten temporären Nutzung von Orten organisiert.
EPHEMER Ein Ort wie die Gewerbeagglomeration am Dückerweg entwickelt darüber hinaus einen gewissen Bestandswillen, der in der ökonomischen Nutzbarkeit des Ortes fußt. Was im städtischen Raum durch Architektur als historisches Zeichen manifest wird, ergeht sich hier allerdings in reinen Nutzbauten, die planlos auf die Fläche geworfen scheinen. Nicht die Repräsentation von Macht oder politischen Funktionen in organisierten Stadtstrukturen ist das Ziel dieser zerstreuten Gebiete. Erreichbarkeit und Sichtbarkeit sind die wesentlichen Faktoren dieser halbtemporären Bauten, die sich mit ihrer ephemeren Zeichensprache an die Hochgeschwindigkeitsklientel der Autobahn richten. Klare Bildsprachen und spektakuläre Werbeträger versuchen, den flüchtigen Blick des Fahrers auf sich zu ziehen. So wurde der russische Kampfjet vor D&W zum Symbol des Ortes wie auch die nackten Damen, die bis vor kurzem auf 20 Meter vergrößert vom Gebäude zur Autobahn grüßten. Auch wenn sich nach 15 Jahren eine gewisse Tradition des Ortes abzeichnet, ist dieser durch einen markanten Verdrängungswettbewerb bedroht. Das Bedürfnis nach Ordnung trifft hier einen Ort, der sich ohne Ziel eine Geschichte gegeben hat, die gemeinhin als unbedeutend beurteilt wird. Ob Tunermeeting oder D&W – die suspekte Szene am Dückerweg verschwindet aktuell hinter der Lärmschutzwand und ist zum Entwicklungsgebiet bestimmt worden. Die Stadt vereinheitlicht sich, statt ihre kulturellen Randbezirke als vitale Orte der Stadt zu kultivieren.
GESCHICHTSTRÄCHTIG In der Deklination der Orte ist das Rhein-Ruhr Zentrum ein solcher, der sich aus der beschriebenen Lage heraus ein Minimum an historischer Bedeutung kultiviert hat. Als ältestes Einkaufszentrum „auf der grünen Wiese“ ist es über die Jahre zum Repräsentant einer fragwürdigen Stadtentwicklungsgeschichte geworden (siehe Kapitel „Globalokal“). Dass diese Form historischer Wahrnehmung für die Betreiber eher hinderlich ist, weist auf das gegenteilige Bedürfnis einer modernen Warenökonomie. Die Aktualisierung der Verkaufsburgen und ihre jeweils zeitgemäße Neugestaltung stehen im Zentrum des Interesses, wobei historische Bedeutsamkeiten eher hinderlich werden. Im schnellen Warentausch wird die Geschichte zum Hemmschuh. In der Fluktuation der modischen Szenen zeichnet sich eine „Asiatisierung“ der Kernstädte ab: In Tokio gilt das Wort, dass man die Stadt nach sieben Jahren nicht wiedererkennt, da alles in einem steten Umbau befindlich ist.
HISTORISCH Als einziger historischer Ort der Ausstellung spielt der Wasserturm in Essen eine herausragende Rolle. In einer Region, deren Entwürfe so oft zerstört wurden, deren Architekturen und Denkmäler nahezu ausgelöscht sind, werden die letzten Zeugen epochaler Ereignisse zu Megazeichen der eigenen Geschichte. Der Wasserturm, dessen einmalige Bedeutung nicht nur in dem von Christoph Schäfer infolge beschriebenen Ereignis fußt, sondern gerade darin, dass dieses einer folgenreichen Interpretation ausgesetzt war, verräumlicht die Ambivalenz historischer Wahrheiten. Die um das Bauwerk geschlagene Schlacht, bei der die Rote Ruhr Armee die Sympathisanten des Kapp-Putsches zurückschlug und um deren Verlauf sich weiterhin zahlreiche Legenden ranken, wird hinter dem Gebäude in zwei Denkmälern aus völlig unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Während das von Nationalisten mit irreführendem Inhalt aufgestellte Denkmal zu Ehren der Gefallenen von Sicherheitspolizei und Bürgerwehren ein Gemetzel konstatiert, um infolge die ganze rote Bewegung zu diffamieren, zeigt das erst in den 70er Jahren eingerichtete Denkmal den wahrscheinlichsten Verlauf, bei dem klar wird, dass die Rote Ruhr Armee den nationalistischen Aufstand gegen die Weimarer Republik hier zunächst niederschlug.
VERDOPPELTE GESCHICHTE Die Begebenheit, dass hier in außergewöhnlicher Weise das neue Denkmal das historisch Missverständliche, wenn nicht Falsche nicht ersetzt hat, sondern sich zu ihm gesellte, artikuliert in einzigartiger Weise, dass die immer als wissenschaftlich wahr proklamierte Geschichte den Interpretationen und Instrumentalisierungsversuchen durch die jeweilige Politik und Ökonomie ausgesetzt ist. So wurde die Legende vom Wasserturm von Nationalisten und Nationalsozialisten genutzt, um eine ganze Bewegung und deren Ideen zu diffamieren, sie zu verfolgen und auszulöschen.
Die Interpretationsfähigkeit von Geschichte zeigt deutlich, auf welch dünnem Eis sich derjenige bewegt, der denen vertraut, die sie als Wahrheit propagieren. Geschichte als eine ständig neu auszuhandelnde Größe, wie sie das „doppelte Denkmal“ abzeichnet, wird dagegen zu einem vitalen Körper, der in der Erzählung und Weitergabe in der Stadtgesellschaft zirkuliert und sich stetig aktualisiert, anstatt in Denkmälern verstaut und vergessen zu werden. Die Verortung, Konservierung und Archivierung historischer Ereignisse in Bronze und Stein im öffentlichen Stadtraum entspricht einer Auslagerung aus dem aktiven Gedächtnis der Gesellschaft und gibt sie dem Vergessen Preis. Während das zu Erinnernde in der Zirkulation der Erzählung einer ständigen Pflege und Mythologisierung unterliegt, die die eindimensionale Wahrheit des Ereignisses stets anzweifelt, wird es im Denkmal akkumuliert und der Erinnerung entzogen. Die Stadt wird zur Asservatenkammer vergessener Ereignisse, zum staubigen Depot einer Geschichtsamnesie.
Wenn Schäfer mit seinem Anti-Monument für die Rote Ruhr Armee der Geschichte die aktuelle Frage stellt, wie sich diese Bewegung ohne die Diffamierung durch Nationalisten entwickelt hätte, befreit er sie aus der Verankerung im Denkmal und aktiviert sie im städtischen Diskurs. Durch sein drittes Monument vergrößert er den Diskussionsraum, der sich in der schmalen Leere zwischen den Denkmälern entwirft und intensiviert den nachbarschaftlichen Kommentar im Reigen der Drei. Der Umstand, dass hier am Wasserturm in der unscheinbaren Geste des doppelten Denkmals Geschichte nicht dialektisch überschrieben wird, sondern sich die Perspektiven im Nebeneinander subtil kommentieren, wird dabei eindringlich intensiviert. Der übliche Verdrängungswettbewerb im historischen Wertigkeitskreislauf wird markant unterbrochen und artikuliert Geschichte als aktiven Körper der Stadtlandschaft.