Folgt man der A40 vom Kreuz Kaiserberg
nach Mülheim, passiert man kurz vor der Stadtgrenze zu Essen das Rhein-Ruhr
Zentrum (RRZ). Das Gebäude aus den 70er Jahren verbirgt sich nahezu komplett
unter einem gigantischen Parkdeck, von dem aus der Besucher durch verschiedene
Eingänge direkt in das Einkaufszentrum gelangt.
Das Parkdeck ist wie das Center legendär.
In den 70er Jahren von Walter Brune erbaut, ist es das erste Einkaufscenter
„auf der grünen Wiese“ und stellt damit den Pionier einer spezifischen Form
in der Stadtentwicklung dar. Im Vergleich mit den Eigenschaften dieser städtischen
Typologie bildet es allerdings eine positive Ausnahme.
Die grundsätzliche Typologie des Einkaufszentrums
und die Verlegung des ökonomischen Zentrums vor die Stadt wurde lange Zeit
kritisch betrachtet. Die erhoffte Aufwertung der Peripherie blieb aus; und
die Center lagen isoliert und fremd auf den unbesiedelten Flächen vor der
Stadt und zogen einen die Peripherie weiter belastenden Schweif an Verkehrsinfrastruktur
hinter sich her. Das urbane Leben, das sich im Stadtkern aus der Heterogenität
verschiedenster Nutzergruppen zusammenstellte, wurde in der Mall zum homogenen
Kaufparadies, in dem nichtkommerzielle Nutzungen fehlten, die sich sonst
zwischen die Ladenlokale schieben. Der kommunikative Aspekt städtischer
Sequenzen wurde durch die Bewegung im Auto minimiert, da man den größten
Weg isoliert in der Fahrgastzelle des eigenen Pkw zurücklegte, anstatt über
das Trottoir zu flanieren.
Das RRZ stellt dazu eine Ausnahme dar,
da seine Lage im Ruhrgebiet einzigartig ist. Hier, wo Stadt an Stadt grenzt,
kann von Peripherie keine Rede sein. Zwischen Essen und Mülheim bezieht
das Center seine Klientel aus der ganzen Region, die durch die anliegende
A40 problemlos über die eigene Abfahrt das RRZ erreicht. Ladenlokal-Leerstand
ist hier ein Fremdwort, wo samstags um die 40.000 Kunden durch die gleich
einem Dorf angelegten Passagen mit Brunnen und Plätzen, Kunst und Parkbänken
flanieren. Das Gebäude, das zudem als Sanierungsmaßnahme auf einem ehemaligen
Zechengelände entstand, gibt sich nach außen zurückhaltend und wird zur
A40 hin lediglich durch seine grazilen Beleuchtungspylone auffällig. Das
Verwaltungshochhaus, das man oft mit dem Center verwechselt, gehörte zur
VEBA AG/Stinnes AG (Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG) und wurde
erst 1973 errichtet. So wird das Parkdeck zur Autobahn hin zum unsichtbaren
Zeichen der Mobilitätsfokussierung, das die temporären Marktplätze auf Park-,
Festund Stadtplätzen zitiert, wo fahrende Händler temporär ihre Waren anbieten.
Zur städtischen Seite hin spiegelt das Haus die dörfliche Struktur in einer
fein gegliederten Giebelfassade und verschmilzt damit den ruppigen Übergang
zwischen der Autobahn als globalem Verkehrsnetz und der lokalen Bebauung,
die ringsherum die ländliche Umgebung reflektiert.
An dieser Schnittstelle formuliert
B1|A40 das abrupte Aufeinandertreffen globaler und lokaler Strukturen, die
man an der Autobahn häufig antrifft. Die Verkehrsachsen als Repräsentanten
globaler Warentransfers, die hier in Form des Hellwegs als große Transitstrecke
zwischen Nowgorod und Brügge, speziell zwischen Duisburg und Paderborn,
schon früh die Landschaft prägten, unterhalten per se ein aggressives Verhältnis
zur lokalen Landschaft, die sie umgibt. Die Interessensunterschiede zwischen
Transit und Heimat, zwischen Verantwortung für den Ort und dem marginalen
Interesse des Reisenden an seinem vorbeiziehenden Umfeld sind natürlich
prekär.
Das Projekt inszeniert im RRZ das Aufeinandertreffen
der ungleichen Partner entlang der dem Center eigenen Warenökonomie. Wo
die Global Player ihre universale Produktpalette aus aller Welt anbieten,
schiebt sich auf einer Aktionsfläche unauffällig eine neue Mall zwischen
die Ladenlokale. In einer Linie stringent aufgereiht, finden sich künstlerische
Verkaufs-, Geschäfts- und Präsentationseinheiten, die vorhandene Formate
wie ein Brillengeschäft oder die Brunnenplastik aus der Gründungszeit nahtlos
integrieren. Im steten Wechsel zwischen Shop, Kunst und Infrastruktur infiltrieren
die Projekte subtil das globale Warennetzwerk, um für manchen Kunden fast
ununterscheidbar ihre Inhalte zu platzieren. So muss sich der Universalgeschmack
globaler Märkte, die ihre Produktion gerne mit einem gehörigen Schuss Lokalkolorit
verkaufen, für zwei Monate mit den lokalen Produkten der Region messen lassen.
Exemplarisch wird dies beim Stand der Gruppe Finger, die hier den selbstgemachten
Honig aus dem Kreuz Kaiserberg vertreibt. Bei der Vergleichsverköstigung
muss auch ein globaler „Cuvée“ von Centerhonigen zeigen, ob er dem lokalen
Produkt das Wasser reichen kann.
Wenn Andreas Wegner in seinem Projekt
„Le Grand Magasin“ in einem herkömmlich anmutenden Ladenlokal auf der Shopping-Mall
Waren aus genossenschaftlicher Produktion anbietet, vergleicht er nicht
nur die Qualität von Produkten lokaler und globaler Herkunft, sondern auch
deren Genese. Die Genossenschaft als Produktionsmethode, bei der dem Arbeiter
die Fabrik gehört, wird in Zeiten des kriselnden Kapitalismus erneut als
Möglichkeit befragt. Dass sein „Paketdienst Esso 36“ auf dem Parkdeck wie
ein Fremdkörper auftaucht, um den Kunden die Waren per Pferdekutsche nach
Hause zu liefern, spielt nicht nur auf den besagt schroffen globalokalen
Wechsel zwischen Autobahn, Center und Agrarland an, sondern schlägt zusammen
mit der Interessensgemeinschaft Zugpferde e.V. wiederum das Pferd als entschleunigendes
Verkehrsmittel vor.
Auf seiner Reise durch die Umgebung des RRZ inszenieren das Gespann und sein Fahrer den globalokalen Kontrast in feinsinnig-humoristischer Weise. Die Verhältnisse inszenieren sich in ihrer nachbarschaftlichen Nähe als Kommentar zueinander, der sich aus dem Kontext der großen Straße autoproduktiv entwickelt. Parallel zu den Arbeiten in der Mall offeriert die Bühne von Christian Odzuck ein offenes Portal für das lokale Publikum. Neben dem Kursangebot „Imkern für Anfänger“ von Finger bot sie Platz für Zeichenkurse, Musik und Performances lokaler Protagonisten. Auch Arpad Dobriban nutzte die Bühne zur informierenden Einführung in sein Projekt „Anweisungen aus der Vergangenheit“, das in einem fulminanten Galadiner auf dem Parkplatz das in die lokalen Praktiken importierte globale Kulturgut des Kochens durch Migration und Zuzug kulinarisch dokumentierte.