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Ausstellung 2014

     

Boris Sieverts A40 - Eine Reise

Die Geschichte der A40 ist eine der großen Sagas des Ruhrgebiets: Wie aus der Reichsstraße 1 von Aachen nach Königsberg die Autobahn 40 wurde, die sich wie keine andere deutsche Autobahn mitten durch die Innenstädte bricht, die sie bedienen soll, ist zu einem der Symbole für die ungeheure technische Überformung der Landschaft zwischen Ruhr und Emscher geworden, hier in den künstlichen Mittelgebirgen der Halden, den gewaltigen Bauwerken der Kohle- und Stahlindustrie oder der kanalisierten Emscher selber ebenbürtig. Anders als auf Halden, an Kanälen oder vor Riesenbauwerken stehend, ist die Erfahrung dieses Eingriffs jedoch (fast) nirgends eine kontemplative. Zu dominant ist die Dynamik ihres Verkehrs, zu laut ihre Sphäre, zu funktional der Grund unserer alltäglichen Begegnung. „A40 – Eine Reise“ führt uns auf und an diese Straße, um sie als das wahrzunehmen, was sie, neben allem Lärm, aller Gefahr und allem praktischen Nutzen, auch ist: ein kulturgeschichtliches Zeugnis ersten Ranges, ein lineares Monument, ein Lebensraum und eine Verführung, nicht zuletzt zum genauen Hinschauen: die stillgelegte Auffahrtsspur unter einer Moosschicht, der unerwartete Mountainbikeparcours im Lärmschutzwald, Frühstück in der Kleingartenanlage hinter der Tür in der Trapezblechwand einer Tankstelle, Mittagessen bei Familie Meier, die von ihrem Kinderzimmer aus die Unfälle an der Einfädelung der A52 zählt. Die A40 ist eben nicht irgendeine Autobahn, die von A nach B führt, sondern ein zwischen System und Ort, Verbindung und Blockade, Emission und Faszination schillerndes Gebilde. „… an der nächsten Tanke wartet schon unser Fahrer … wir öffnen eine Tür in der Schallschutzwand, drehen ’ne Runde und fahren weiter …“ Termine: 26. Juni, 24. Juli, 25. Juli 2010, jeweils von 10 bis 21.30 Uhr Kostenbeitrag: 69 Euro inklusive Verpflegung und Transporte. Feste Schuhe, lange Kleidung und leichtes Regenzeug mitbringen. Teilnehmerzahl: 17 10.00 Treffen in Essen am Hauptbahnhof an der DB-Servicetheke. Dann Gang in die U-Bahn und Fahrt mit der U18 inmitten der A40 bis zur Station Eichbaum.
10.35 Ankunft in Eichbaum. Komplexes Verkehrsbauwerk, an dem die A40 den Verlauf des alten Hellwegs, der später zur Reichsstraße und dann zur B1 wurde und an dem sich die alten Ruhrgebietsstädte aufreihen, verlässt. Einfädelung der B1 und der U18 von Mülheim kommend. Letztere sollte ursprünglich das gesamte Ruhrgebiet von Dortmund bis Duisburg verbinden, im Duisburger Untergrund steht die Endhaltestelle bis heute im Rohbau. Die A40 wird ab hier ländlicher. Eichbaumoper. Verlassen der Situation über den wunderschönen Trampelpfad durch ein Maisfeld.
10.50 Michael und Ahmad erwarten uns in zwei Kleinbussen auf dem Parkplatz vor der Pizzeria in der Blücherstraße/Ecke Julius-Leber-Straße in Mülheim. Einstieg und Fahrt auf die A40 in Fahrtrichtung Duisburg.
11.00 Ausstieg an Notrufsäule nach Ruhrauenüberquerung. Abstieg vom Fahrdamm. Anschließend Unterquerung der A40 und Weg über einen Bauernhof bis an den Ruhrschifffahrtskanal. Weite Flussauenlandschaft mit aufgeständerter Autobahn. Viehzäune aus alten Leitplanken. 20.000 Ballen Stroh für den Duisburger Zoo! Dem Kanaldeich nach Westen folgen.
11.40 Ankunft bei Fisch Braun und der ersten Erläuterungstafel zum „Landschaftspark Kreuz Kaiserberg“. Stadt, Land, Fluss, Autobahnkreuz: die Autobahn als gliederndes und namengebendes Landschaftselement (in Ergänzung zu ihrer Rolle als Fremdkörper). Besichtigung der Fischteiche in diesem Sinne (der Landschaft als Fügung heterotopischer Momente). Für jeden Teilnehmer eine Kräuterforelle kaufen!
12.00 Ankunft am Werthacker. Geschichte der Siedlung als Selbstbauprojekt und ihre fortschreitende Entwicklung zur Enklave zwischen den beiden meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands, der Eisenbahn und dem Kanal. Kampf um den Erhalt der Kirche. Wie das Dorf von Asterix („… Ganz Gallien? Nein! …“). Die Forellen auf dem Spezialgrill braten. Mittagessen, Kaffee und Kuchen an der gallischen Tafel.
13.10 Aufbruch vom Werthacker. Bunker, Kaiserberghölle, geplante und dann aufgegebene S-Bahn-Station mit Zuwegen, Honigpumpstation, Fußgängertunnel, Kaiserberg mit Aussicht auf Thyssenwerk.
13.45 Ankunft Lieferanteneingang Zookiosk. Durchquerung des Zoos mit Überschreitung der A3 auf der Brücke mit Schriftzug „Zoo“ aus Buchenhecke.14.00 Einstieg in Kleinbusse auf dem Zooparkplatz an der Tigerkasse.
14.20 Ankunft Rhein-Ruhr Zentrum. Eintritt durch den Personaleingang in das erste Einkaufszentrum Deutschlands „auf der grünen Wiese“, an der Stadtgrenze von Mülheim zu Essen, A40 und U18. Vorbei am Honigverkauf aus der Pumpstation, den Rentmeister Skulpturen und dem Genossenschaftsladenbis hinauf auf das Parkdeck.
14.40 Wiedereinstieg in die Kleinbusse auf dem kabinettartigen, von niedrigen Mauern umfassten Sonderbereich des Parkdecks. Rampe runter. Rampe hoch – zurück auf die A40 bis zur Abfahrtsspindel Essen Zentrum.
15.00 Ausstieg in Essen an der Wächtlerstraße/Ecke Auf der Donau. Anschließend 600 Meter Fußweg mit Blick durch die Notausgangstür der Lärmschutzwand zwischen A40 und der parallelen Fußgängerüberführung über das Gleisfeld. Unterquerung der A40 parallel zu den Gleisen. Dann an der anderen Seite der A40 entlanggehen. Inschrift auf Lärmschutzwand: „Nicole Müller, die versoffene, bisexuelle, asoziale, drogensüchtige, durchgefickte Dreckshure.“ „Tod der bisexuellen Hure Nicole Müller.“ „Nicole Müller hat Aids.“ „Nicole Müller, die größte Schlampe von Essen und Umgebung.“ Fußgängersteg diagonal über die A40. Sozialer Äquator des Ruhrgebiets. Hier Gymnasium, dort Hauptschule. Dazwischen die Brücke auf Höhe der ersten Obergeschosse.
15.15 Ankunft Haltestelle „Wasserturm“. Einstieg in einen Bus der Linien 146 oder 147 in Fahrtrichtung Kray. Fahrt ohne Lenken mit seitlichen Führungsrollen in einem Beton- und Rasenbett inmitten der Autobahn.
15.25 Ausstieg an der Haltestelle „Feldhauskamp“, auf Höhe der Einmündung der A52 in die A40. Unfallträchtigster Abschnitt der A40.
15.35 Einbiegen in die Hombrucher Straße: Einfamilienhäuser, fünf Meter Straße, dann Lärmschutzwände aus schmutzigem Plexiglas. Eigenartig betäubte Situation, in der alles in weite Ferne rückt: Die durch das Plexiglas sichtbare, gegenüberliegende Huckarder Straße, die früher Hombrucher Straße hieß und deren Häuser noch heute nur gerade Nummern tragen, während die ungeraden auf unserer Seite der Autobahn geblieben sind; der Lärm, dessen Quelle durch das Plexiglas so sichtbar ist und der dafür doch viel zu weit entfernt klingt – wie Stimmen, die man im Halbschlaf hört oder der ferne Ruf des eigenen Namens beim Erwachen aus einer Ohnmacht.
15.45 Kaffee und Kuchen im Garten von Familie Jürgens, ebenfalls Hombrucher Straße: Die pure Idylle. Dr. Jekyll and Mr. Hyde! Unsere Gastgeber tragen T-Shirts mit der Aufschrift „A40 – Verkehr ist unser Leben“. Das Haus ist noch in vollem WM-Schmuck, von der Autobahn durch das Plexiglas gut sichtbar. Alle warten schon, was als nächstes kommt. Im Winter natürlich Weihnachtsbeleuchtung. Dazwischen vielleicht einfach mal „ARSCH LECKEN“.16.40 Einstieg in die Kleinbusse an der Bushaltestelle Frillendorfer Platz. Zurück auf die A40 in Fahrtrichtung Dortmund.
16.55 Ausstieg an den Überresten der früheren Shell Tankstelle nach Abfahrt Bochum-Stahlhausen. Verlassen der Tankstelle über den Pinkelpfad der Lkw-Fahrer. Anschließend ca. 50 Minuten Fußweg durch die rauhe Industrielandschaft des Bochumer Nordwestens. Überquerung der A40 auf der früheren Lorenbrücke im Anschluss an die Schlackenberge aus der Edelstahlproduktion des benachbarten ThyssenKrupp- Werks. Mondlandschaft mit Rauschen (Autobahn). Dazwischen ofenwarmes Brot aus türkischem Garten. Erreichen der STAR Tankstelle in Fahrtrichtung Duisburg wiederum über Pfad durch Wäldchen. Dieser ist nicht nur Pinkelpfad, sondern zugleich auch Fußweg aus der benachbarten Siedlung „Carolinenglück“ zur Autobahngaststätte, die zugleich Stammkneipe der Siedlungsbewohner ist. Auch sie wird, wie bereits die gegenüberliegende Shell Tankstelle, bald der Verbreiterung der A40 weichen. Hier Wiedereinstieg in die Kleinbusse.
17.30 Kurzer Halt am Tor des Kabeisemanns Hof. Verlassener, denkmalgeschützter Gutshof, der zum Autohof umgebaut und dann die drei im Zuge der A40-Verbreiterung abgerissenen Tankstellen (Shell Tankstelle Stahlhausen, STAR Tankstelle Stahlhausen, Esso Tankstelle Dückerweg) ersetzen soll. Wesentliche Schnittstellen zwischen Stadtraum und Autobahn, wie zum Beispiel die Raststätte mit dem Siedlungsstammtisch, wird es dann nicht mehr geben. Wie soll so aus der A40 jemals der vielbeschworene „Boulevard“ werden? Zurück auf die A40 in Fahrtrichtung Duisburg.
17.55 Ausstieg auf dem Lkw-Parkplatz der Shell Tankstelle Vietingstraße in Bochum-Wattenscheid. Toilettenpause und Sekt kaufen. Gang durch das Tor in der Lärmschutzwand. Versorgung der dahinter liegenden Kleingartenanlagen durch den Tankstellenshop. Deshalb war der Erhalt des Tors auch Teil des Tankstellenpachtvertrags bei Ausbau der Lärmschutzwand vor einigen Jahren. Gang durch die Kleingartenanlage. Audioinstallation von Zinganel/Hieslmaier mit Lebensgeschichten von Lastwagenfahrern, Tankstellenpächterin und Gärtnern. Lastwagenfahrer haben sich mit Gärtnern angefreundet und nutzen deren Lauben teilweise zum Übernachten. Zwischen Friedhof und Lärmschutzwand entlang zur Westenfelderstraße gehen, die das frühere Einfahrtstor von der B1 nach Wattenscheid war (Wandmalerei: Wappen von Wattenscheid). Autobahn(baustelle) unterqueren. Dramatisches Straßenbild zwischen A40 und Bundesbahnunterführung: Postkartenruhrgebiet. Dann durch die Fichtestraße auf den Dückerweg: Siedlungsgrün mit geselliger Nachbarschaftsrunde neben McDrive. Durch den McDonald’s auf die Burger- Abholspur, wo Michael und Ahmad uns in den Kleinbussen erwarten. Fahrt um den Betonklotz von Seats and Sofas herum auf das Parkdeck. Weite und Überblick: D&W, Burger King, Polo’s (Motorradzubehör), Van Lieshouts „Motel Bochum“. Ursprung als alter Autogewerbestandort an der B1, mit amerikanischem Autohaus, Schotterfläche für Testfahrten und Schrottplatz. Bei Ausbau der B1 zur A40 bestand der Autohändler auf eine eigene Abfahrt. Später Aufkauf der Grundstücke durch Möbel West und Bau eines riesigen Möbelhauses. Detlev und Werner (D&W) haben als Hobbytuner in einer Garage in Wattenscheid begonnen und sind dann später ebenfalls hierher gezogen. Deshalb beliebter Treffpunkt der Tuningszene. Bis vor kurzem gab es hier auch noch eine Tankstelle. Und noch früher auch eine Gaststätte im Erdgeschoss eines Wohnhauses an der Stelle des heutigen McDonald’s. In das zwischenzeitlich leer stehende Möbelhaus zogen dann neben Seats and Sofas unter anderem Aldi (heute Atelco) und ein Fitnessstudio ein. Wohnen, Tanken, Fitness, Gastronomie, Einzelhandel, Straßentreff: Der Dückerweg ist eine Stadt im Kleinen, der in dieser Lage direkt an der Autobahn nur damit zu erklären ist, da er an einer durch verstädtertes Gebiet führenden Bundesstraße gelegen ist. Fehlt nur noch das Hotel, das in dieser Lage natürlich ein Motel sein muss: So entstand die Idee zum „Motel Bochum“ (das mir während meiner Recherche auch als Quartier diente).
18.50 Einstieg in die Kleinbusse. Ehrenrunde auf dem Parkdeck. Zurück auf die A40 in Fahrtrichtung Dortmund.
19.05 Ausfahrt Dortmund Kley. Hier trennen sich unsere Wege: Ein Wagen fährt nach der Autobahnabfahrt links und wieder links, der andere rechts und wieder rechts. Durch Entwässerungsrohre gelangen wir von zwei Seiten ins Innere des Autobahnkreuzes Dortmund West. Kartenstudium auf der Brücke über dem Wasserauffangbecken. Dazu Sekt zum Aperitif für das bevorstehende Abendessen. Verlassen des Autobahnkreuzes wiederum durch die Rohre in jeweils entgegengesetzter Richtung. Einstieg in die Busse und über die Auffahrt Dortmund-Dorstfeld zurück auf die A40 in Fahrtrichtung Dortmund. Dann Fahrt über die Schnettkerbrücke bis zur Abfahrt Wittekindstraße, die zugleich das Ende der A40 und den (Wieder)beginn der B1 markiert. Rechts und wieder rechts in die Rosemeyerstraße. Auf den Parkplatz des Restaurants Aqua und bis zum Ende der asphaltierten Fläche durchfahren. Dort erwartet uns eine festlich gedeckte Tafel mit Blick auf die Schnettkerbrücke und über das Emschertal.21.30 Einstieg in die Busse und Rücktransport der Teilnehmer zum Essener Hauptbahnhof oder wahlweise zur nahegelegenen U-Bahn- Station Theodor-Fliedner-Heim.