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Ausstellung 2014

     

Nur ein kleines Dorf Wolfgang Stahl

„Was geht hier vor?“, fragten sich die Siedler der Werthackersiedlung in Duisburg angesichts der Aktivitäten vor ihrer kleinen St. Martinus-Kapelle, die den Mittelpunkt dieser schmucken Siedlung bildet. Schon am frühen Morgen stand im Juni 2010 ein holländischer 40-Tonnen- Lkw auf der Festwiese vor der Kapelle und es wurden mehrere Kubikmeter Holz entladen. Unter der Leitung der Künstlerin Jeanne van Heeswijk und ihres Ehemannes Marcel van der Meijs entstand innerhalb einer Woche vor Ort eine Skulptur mit Tischen und Bänken aus splitterfestem Pappelholz. „Der Widerstand des kleinen Glücks“, so nannte die Künstlerin nach der Fertigstellung dieses einem „gallischen Tisch“ ähnliche Werk und lud die Siedler spontan zu einer Einweihungsfeier ein. Die Siedler, deren Kampf gegen den Abriss ihrer kleinen Kapelle Jeanne van Heeswijk so beeindruckt hatte, dass sie gemeinsam mit ihnen und ihrem Kunstwerk dazu beitragen wollte, durch Interviews, Recherchen und einem Dorffest Öffentlichkeit zu mobilisieren, um die bedrohte Kirche zu retten. Bereits 1947, im Gründungsjahr der Siedlergemeinschaft Duisburg e.V., übernahmen die Siedler mit Idealismus und eiserner Entschlossenheit trotz aller Schwierigkeiten die Initiative zur Erstellung von geplanten 93 familiengerechten Eigenheimen. Am Werthacker, einer vor dem Krieg als sogenannte „Asozialen-Siedlung“ berüchtigten Stätte, in der alle Wohnblocks durch Bomben vollständig zerstört waren, hatte die Gemeinschaft erst nach zähen Verhandlungen mit der Stadt Duisburg die Zustimmung zur Errichtung der Siedlung erhalten. Als sich später zeigte, wie schwierig es war, die zahlreichen „wilden Siedler“ vom Werthacker zu entfernen, die sich dort in zum Teil erbärmlichen Behausungen für Jahre dort eingerichtet hatten, war die Gemeinschaft gezwungen, dem Wohnungsamt entgegenzukommen und Nichtsiedler in die Einliegerwohnungen aufzunehmen. Dafür waren die Grundstückskosten jedoch sehr günstig. Die für damalige Zeiten modernen Häuser besaßen jeweils zwei Wohnungen von je 48 Quadratmeter Wohnfläche. Es wurde besonders darauf hingewiesen, dass sämtliche Räume elektrisches Licht und die Küchen Gas- und Wasseranschlüsse erhielten. Der Spülbottich in der Waschküche war so eingerichtet, dass er als Badewanne dienen konnte. Zehn Jahre nach Gründung der Siedlung wurden die letzten Häuser der ersten Bauphase fertiggestellt und ein sozialer Brennpunkt der Stadt war verschwunden. Aus einer Wüstenei wurde ein Schmuckstück vor den Toren der Stadt Duisburg. Jeder Siedler hatte für sein Haus zwischen 4000 bis 6000 Stunden nach Feierabend hart arbeiten müssen, um es in Selbsthilfe zu erstellen. Im Januar 1953, während intensivster Bautätigkeit an den Siedlungshäusern, kam zum ersten Mal die Idee auf, in der Siedlung auch einen Kindergarten und eine Kirche zu errichten. Um diese Idee in die Tat umzusetzen, wurde das St. Martinus-Hilfswerk gegründet. Mitglieder waren der Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde St. Elisabeth in Duisburg und aktive Siedler des Werthackers. 1955 wurde mit der Grundsteinlegung des Kindergartens das Werk in Angriff genommen. Auch hierbei stand wieder die Selbsthilfe der Siedler im Vordergrund. 1958 wurde der Kindergarten eingeweiht und 1962 die Kapelle. Eine Versammlungsstätte für die Siedler folgte 1974 mit der Eröffnung der Siedlerklause, die im Keller unter der Kirche von den Siedlern in 15.000 Arbeitsstunden errichtet wurde. Im Jahr 2006 wurde durch das Bistum Essen entschieden, für zahlreiche Kirchen keine Finanzmittel mehr zur Verfügung zu stellen. Auch die St. Martinus-Kapelle gehörte danach zu den Kirchengebäuden, von denen sich das Bistum trennen wollte und die damit zum Verkauf und nachfolgendem möglichen Abriss freigegeben wurden. Vorschläge der Siedler, gemeinsam mit den Kirchenverantwortlichen nach Lösungen zu suchen, die einen Erhalt des Gebäudes ermöglichten, ohne dass eine finanzielle Überforderung der Siedler eintrat, wurden leider nicht erhört. Schließlich wurde 2010 mit Darlehen der Siedler die Liegenschaft vom Bistum Essen käuflich erworben. Die Siedler sind jetzt gezwungen, mittels Parzellierung des Geländes in mehrere Baugrundstücke und einen anschließenden Verkauf dieser Grundstücke dafür zu sorgen, den Kaufpreis der Liegenschaft zu decken und so die Darlehen zurückzahlen zu können. Dafür ist jedoch ein Bauernopfer zu leisten. Der Kindergarten und ein Teil des Kirchenschiffes müssen abgerissen werden, um den anderen Teil der Kapelle mit dem Glockenturm als Landmarke und Mittelpunkt der Siedlung zu bewahren. Durch Sanier-ung und Umbau sind die Siedler bemüht, ihre Kapelle mit der darunter befindlichen Siedlerklause zu erhalten. Was jetzt am meisten fehlt, ist Geld. Aber auch in der Vergangenheit hat es immer wieder Herausforderungen gegeben, denen sich die Siedler gestellt haben. Deshalb werden wir es auch diesmal schaffen. Wir danken an dieser Stelle dem Kurator des Projektes „B1|A40 Die Schönheit der großen Straße“, Herrn Markus Ambach, und der Künstlerin Jeanne van Heeswijk mit all ihren Mitarbeitern für die große Unterstützung bei der Realisierung unseres Projektes. Die Zusammenarbeit mit ihnen hat die Gemeinschaft in unserem „gallischen Dorf“ erheblich gestärkt und unser Zusammenleben gefördert und befruchtet.